"Ich weiß, wer du bist."

Willi Seiß erzählt aus seinem Leben

Am Samstag, den 21.7.2000, besuchte ich Willi Seiß am Bodensee und ließ mir aus seinem sehr ereignisreichen Leben erzählen. Obwohl mir die anthroposophische Heilpädagogik seit 25 Jahren bekannt ist, wusste ich z.B. nicht, was sie ihm für den Aufbau der heilpädagogischen Arbeit - wie sie von Karl König überkommen ist - zu verdanken hat. - Ist Willi Seiß einer der allgemein „unbekannten" Anthroposophen, den aber viele „Gründerväter und -mütter" der letzten Jahrzehnte sehr gut kennen bzw. kennen könnten...? Machen Sie sich selbst ein Bild. -Monika Neve


Jugend und Kriegszeit

Monika Neve: Herr Seiß,  Sie sind 1922 in Stuttgart geboren. Können Sie etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Willi Seiß: Ich hatte eine sehr harmonische Kindheit, obwohl ich viel alleine war dadurch, dass beide Eltern in der damals nicht einfachen Zeit berufstätig sein mussten.

Monika Neve: Waren Sie ein Einzelkind?

Willi Seiß: Nein. Ich hatte einen Bruder, aber er hat sich mit mir nie verstanden. Er war zwei Jahre älter und versuchte, seine Kraft an mir auszulassen. Deshalb nahm ich mir vor, stärker zu werden als er. Ich kaufte mir Federhanteln und übte damit jeden Tag. Anschließend kam ein Langlauf von ca. acht km und dann schwamm ich noch ca. einen Kilometer. Anschließend fuhr ich oft noch mit dem Rad eine Rundfahrt um Stuttgart, die es heute noch gibt. Das waren nochmals 42 km. Das trieb ich solange, bis mein Bruder nicht mehr stärker war als ich. Das war das eine. Weiter kam dazu, dass ich eine ganze Reihe von Sportarten aktiv betrieben habe. Ich habe geboxt, auch in Wettkämpfen; ich trieb sehr viel Leichtathletik.

Monika Neve: Boxen ist ja schon ungewöhnlich...?!

Willi Seiß: Ja, aber das hat mir schon viel Freude gemacht. Weniger der Boxkampf als solcher als die Vorbereitungen; das Training mit dem Seilspringen. Wir hatten Wetten abgeschlossen, wer arn längsten springen kann, und ich weiß noch heute, ich bin über 1600 Sprünge gekommen, ohne dass das Seil hängenblieb. - Aber die schönste Zeit in der Jugend war eigentlich, als ich aktiver Ruderer war. Ich hatte damals nach der Schulzeit - ich war auf der Realschule Stuttgart-Cannstadt gewesen - eine kaufmännische Lehre begonnen, innerhalb der Frankfurter VersicherungsAG und war dann immer der Erste, der aus dem Büro kam, um direkt zum Ruderhaus des Rudervereins nach Stuttgart zu gehen. Da nahm ich den Einer, fuhr acht Kilometer mit dem Einer; dann kam mein Freund, und wir fuhren weiter mit dem Zweier, danach mit dem Vierer und zuletzt mit dem Achter. - Das waren also vier Trainingseinheiten von je acht km. Wir haben es dabei sehr, sehr weit gebracht, so dass wir auch als Jugendmannschaft Seniorenrennen gewonnen hatten, denn wir hatten eine ganz     ausgezeichnete Startposition - bei jedem Rennen. Das war technisch wichtig, einen guten Start zu haben. - Das zur Jugend. Und dann wurde ich frühzeitig eingezogen.