"Ich weiß, wer du bist."

Erst einmal ging es noch anders weiter. Auf eine Anzeige von Dr. Hessenbruch in Bad Liebenzell im Unteren Bad erhielt ich in seinem Sanatorium die Anstellung für künstlerische Therapie. Die Goethesche Farbenlehre hatte ich durchexperimentiert, auch bei Hebing und Walther Roggenkamp in Stuttgart. Das war kein Neuland, lediglich die Arbeit mit Patienten von Hessenbruch. Meine Überlegung ging davon aus, was die Farbe in einer reinen Seele bewirke oder aber, was eine Seele durch die Farbe auszudrücken vermag. Ich nahm nicht einfach Papier, um darauf malen zu lassen. Die Vorbereitung, das Papier auf einen Holzrahmen zu spannen, zeigte, dass der Patient mit einer zurückhaltenden, achtungsvollen Haltung - oft zögernd - begann, auf die reine weiße Fläche Farbe aufzutragen. Wir arbeiteten nicht nach Motiven, weil wir nach Abschluss einer Arbeit sämtliche Bilder miteinander bewerteten. So gab ein Bild eine elementare Stimmung wieder, eine anderes drückte eine Seelenstimmung, wieder ein anderes ein geistiges Bild aus. Diese Ordnungen entstanden immer aus dem Vergleich mit anderen Bildern, nie aus sich allein. Die Patienten erlebten so die Bedeutung ihres Bildes für die Beurteilung anderer Bilder und umgekehrt. Ich fand es als ein soziales Experiment, das den Menschen ein starkes Selbstvertrauen vermittelte. Die an sich gemachten Erfahrungen ließ ich sie bewusst machen dadurch, dass ich diese von den Patienten in ein Büchlein niederschreiben ließ. Ich besitze es noch heute. -

Dort, in Bad Liebenzell, lernte ich auch meine Frau kennen, die da als Krankenschwester tätig war. -

Wir stellten uns die Lebensaufgabe, spastische Kinder zu fördern. Diese Kinder belasteten zudem mit ihren besonderen Bedürfnissen und Anforderungen in der Pflege die heilpädagogischen Heime, wenn sie dort überhaupt aufgenommen werden konnten. In den USA, in England und Schweden hatten diese Kinder schon, wie man so sagt, eine „Lobby", aber nicht in Deutschland. Auch im öffentlichen Gesundheitswesen war damals keine Förderung für diese Kinder.

Aber das ist jetzt wieder ein neuer Lebenseinschnitt, nachdem wir uns selbständig machten und in Lindau am Bodensee für diese Aufgabe ein Haus mieteten. Dort begegneten wir wieder Dr. Karl König, der uns, aus Afrika kommend, mit Alix Roth besuchte. Das kam so: Eines Tages fuhren meine Frau und ich mit der Bahn von Pforzheim nach Liebenzell. Wir fuhren 3.Klasse. Da sagte ich, "ich muss mal in die 1.Klasse gucken". Meine Frau: Was willst du denn dort...? - Ich ging einfach in die I.Klasse, und dort saß König mit seiner Frau. So kamen wir wieder zusammen und hielten Kontakt. Er kannte unsere Pläne, weshalb König uns in Lindau aufsuchte. Die Situation war die: Camphill war in Deutschland nicht vertreten. Die Anthroposophische Gesellschaft in ihrer unendlichen Streiterei mit dem Ausschluss vieler Mitglieder, auch von Dr. König, machten es ihm unmöglich, von sich aus in Deutschland einen Start mit einem Heim zu versuchen. Ihm kam entgegen, dass ich mit Spastikern arbeiten wollte. Dafür hatten die etablierten anthroposophischen Heime noch keine Liebe entwickelt. Das sah König, weshalb er meinte, dass wir mit einem solchen Heim nicht in Konkurrenz zu den anderen Heimen treten würden. "Wir haben zwar hier die schwierige Situation in der Heilpädagogik, aber wir haben kein Heim für gelähmte Kinder."