Nachruf auf Willi Seiß

„In hoc signo vinces“.

Nachruf auf Willi Seiß (* 12. November 1922 in Stuttgart; † 25. Januar 2013), christlicher Hermetist

© Björn Steiert

Willi Seiß, Gründer des Achamoth-Verlags und Initiator der Freien Hochschule am Bodensee (später umbenannt in Freie Hermetisch-christliche Studienstätte am Bodensee), verstarb am Morgen des 25.01.2013 im Überlinger Krankenhaus, wo er nach einem arbeitsreichen Leben friedlich einschlief.

Er verfügte über umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der christlichen Esoterik, namentlich der Chakra-Kunde, die er in seinem „Chakra-Werk“ seit 1991 sukzessive darstellte. Hauptsächlich für sein Wirken auf diesem Gebiet – welches die oben genannten Gründungen umfasste – ist er in den letzten Jahrzehnten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Als einer der ganz wenigen war er in der Lage, die Geistesforschung Rudolf Steiners konkret fortzuführen und die Erkenntnisse der Anthroposophie in wesentlicher Hinsicht zu vertiefen, stets fokussiert auf die christlichen Inhalte. Er vermittelte sein  Wissen auch mündlich in Vorträgen und Seminaren, die vielerorts gehalten wurden (z.B. referierte er über Jahre hinweg im Forum 3 in Stuttgart über den rosenkreuzerischen Schulungsweg). 

Mit seinen Arbeiten und Aktivitäten baute Seiß auch auf Valentin Tomberg auf, dessen in anthroposophischer Terminologie verfassten frühen Werke er im Achamoth-Verlag in würdiger Form herausgab und so wesentlich dazu beitrug, sie ins Bewusstsein zu rücken und für künftige Generationen zu erhalten. Außerdem bezog er sich auf die Werke des niederländischen Künstlers Hieronymus Bosch, der aus Seiß’ Sicht mit den Mitteln der Malerei schon früh zur Darstellung brachte, was die zuvor Genannten rund 500 Jahre später in begrifflicher Form vermittelten.

Eine besondere Facette seines Wirkens stellen die sogenannten „Aurum Vita“-Elemente dar. Diese basieren auf in die 80er Jahre zurückreichenden, seither vertieften und erweiterten Erkenntnissen und dienen insbesondere der seelisch-geistigen Entwicklung des Menschen. Es handelt sich hier, vereinfacht gesagt, um Anhänger, in denen sich sehr reine, feinst zerriebene (gleichsam „ätherisierte“) Metalle in bestimmten Mischungsverhältnissen befinden, deren Wirkung mittels passender Module im Raum ausgebreitet werden kann.

„Seiß‘ Auftreten und seine Darstellungen zeichneten gemäß dem Urteil vieler, die ihn erlebten, aus, dass sie von großer Ernsthaftigkeit und grundlegender Seriosität geprägt waren – freilassend und doch im Hinblick auf die Orientierung an der Sache kompromisslos-aufrichtig. Dabei wirkte er – wiewohl er bis zu seinem Tod Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft war – unabhängig von jeder Institution, stets bereit dazu, sich um der Wahrheit willen gegen Mehrheitsmeinungen zu stellen, und für persönlichen Rat zur Verfügung stehend.“

Weniger bekannt sind die früheren Stationen seines Weges. Seiß wurde am 12.11.1922 in Stuttgart geboren. Den zweiten Weltkrieg erlebte er als Mitglied der Besatzung eines U-Boots. Sein Schicksal bewahrte ihn davor, Menschen töten zu müssen – ja, es ermöglichte ihm in seiner Funktion sogar, viele Leben zu retten. Es folgten der Besuch der Wirtschaftsoberschule und der Waldorfschule in Stuttgart. Nach einer entscheidenden Begegnung mit Karl König war seine nächste Station das heilpädagogische Seminar in Aberdeen (Schottland). Er wurde Mitarbeiter in Camphill und in einem Heim für schwererziehbare Kind und Jugendliche in Südengland (Devonshire). Sein Berufsleben führte ihn anschließend in eine Firma, in der er an wesentlichen technischen Entwicklungen zur Verbesserung von LKW-Antrieben beteiligt war. In Bad Liebenzell erhielt Seiß im Sanatorium von Dr. Hessenbruch eine Anstellung für künstlerische Therapie. 1958 brachte er die heilpädagogische Camphill-Bewegung nach Deutschland (Brachenreuthe), was auch mit privaten Opfern verbunden war. Anschließend war Seiß als Generalvertreter bei der Allianz beschäftigt. In Pörtschach (Österreich) erwarb er ein Labor zur Arbeit mit Mistelsäften und war in diesem Zusammenhang durch Gründung der Helixor GmbH maßgeblich an der Entwicklung der gleichnamigen Präparate zur Krebstherapie beteiligt. Außerdem war Seiß Bevollmächtigter der Firma Med-Tronik für die Schulung des Bioelektrischen Messverfahrens nach Prof. Vincent.

Immer wieder betonte er den Wert der Lebenserfahrung für die spirituelle Entwicklung. Er beschrieb sich selbst als einfachen Menschen, der aber das, was er aus seinen Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Bereichen gelernt habe, an andere weiterzugeben versuche. Auch vor diesem Hintergrund waren seine Veranstaltungen – durch das authentische Erlebnis seiner Person – wertvolle Impulse.

Am 15./16. Dezember hielt Willi Seiß sein letztes Seminar in der FHaB in Taisersdorf. Den abschließenden Beitrag eröffnete er mit den rückblickend vielsagend erscheinenden Worten: „Es ist immer schwierig, Abschied zu nehmen. Das ist so. Weil, man wächst doch in der einen oder anderen Weise etwas zusammen, und man kann nicht alle begleiten, man kann auch nicht von jedem den Rucksack tragen ...“.   Am 27.01.2013 fand eine intime, kleine Gedenkfeier im Friedhofshaus in Owingen statt. In den bei diesem berührenden Anlass geäußerten Worten wurden manche der herausragenden Eigenschaften seines Charakters in Erinnerung gerufen, nicht zuletzt seine konsequente Zielstrebigkeit, seine übergeordnete Toleranz sowie seine Willensklarheit und -kraft. So hatte er bei vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die eigentliche, individuell gestaltete Urnenbeisetzung erfolgte am 14.02.2013 im Friedwald zu Heiligenberg. Bei diesem Anlass gab es, umrahmt durch Musik eines Hornquartetts, Redebeiträge aus dem Kreis der Familie und Freunde. Es wurde Tombergs Muttergebet, das Vaterunser sowie ein Auszug aus den Paulus-Briefen (I Korinther 1, 17-31) vorgetragen. 

Der Verlust ist sehr schmerzlich, allerdings war Seiß‘ Wirken immer zukunftsorientiert und wird es bleiben. Im Nachwort zu einer Publikation des Achamoth-Verlags bemerkt er: „Man möchte an dieser Stelle letztendlich nur noch die Bitte aussprechen, dass die Hoffnung aufblühen möge: ‚In hoc signo vinces! – In diesem Zeichen [= dem Zeichen des Christus] wirst du siegen!‘“

Diese Hoffnung verbindet sich auch mit dem Werk von Willi Seiß. Die christliche Esoterik der Gegenwart – und damit jeder Einzelne, der diesen Weg gehen und vertreten will – verdankt ihm Entscheidendes. Konkret bedeutet diese Hoffnung somit, dass immer mehr Menschen mit seinem Werk ganz individuell und selbstständig arbeiten und zu Ergebnissen gelangen werden, auf dass es vielfache verborgene und sichtbare Früchte trägt. Schon Ostern 1992 schrieb Willi Seiß Im Vorwort des  „Chakra-Werks“, dass (bei grundsätzlicher Orientierung am Vorbild Christi) gilt: „Es gibt keinen Lehrer, da wir alle Schüler, jede von jedem, sind.“ Und wenige Absätze darauf bemerkt er, dass Steiner, der geistig am „Chakra-Werk“ mitwirke, „darauf wartet, daß endlich Schüler durch okkulte Schulung sich direkt an ihn wenden. Sein Werk der Anthroposophie, wie es hinterlassen ist, wäre sonst unbrauchbare Literatur. Trüge jeder doch dazu bei, das Geisterland selbstständig zu erringen, dadurch, daß er sich selbst bezwingt. Es will allein errungen werden. Allein, weil auch Steiner als Zarathustra allein – seit Urzeiten – seinen Weg vorlebte. Allein das hat Zukunft.“

© Björn Steiert